von Tobias Angehrn, Gründer und Geschäftsführer von TRESIO
Der nachfolgende Artikel wurde zu Informationszwecken erstellt. Es handelt sich weder um eine Steuerberatung noch eine Rechtsberatung – bitte im Zweifel immer eine Fachperson zu Rate ziehen!
In der dynamischen Welt des Unternehmertums sind SaaS-Startups (Software as a Service) ein Synonym für Innovation. Sie versprechen bahnbrechende Lösungen, die Branchen umgestalten und die Grenzen des technologischen Fortschritts erweitern. Am Anfang dieser visionären Reisen steht oft eine Phase intensiver Entwicklung und beträchtlicher Investitionen an, während der wenige oder gar keine Einnahmen generiert werden.
Während diese anfängliche Phase des Wachstums und des Fortschritts zu erheblichen Verlusten führen kann, gibt es eine wirksame Strategie, um diese Herausforderungen zu mildern und die finanzielle Gesundheit Startups zu stärken.
Das Geheimnis liegt darin, den wahren Wert von immateriellen Gütern, insbesondere von selbst entwickelter Software, als einen zentralen Vermögenswert zu erkennen, der das Potenzial hat, die Bilanzen zu stärken und Startups durch die tückischen Gewässer der Verluste in der Anfangsphase zu navigieren. Mit einem visionären Ansatz für die Rechnungslegung und Finanzberichterstattung wird die Aktivierung selbst entwickelter Software zu einem Hoffnungsschimmer für Startups, die danach streben, Fuss zu fassen und nachhaltiges Wachstum zu erzielen.
Dieser Artikel befasst sich mit der strategischen Bedeutung der Aktivierung selbst entwickelter Software nach dem Schweizerischen Obligationenrecht, es werden die folgenden entscheidenden Aspekte untersucht:
- Rechtliche Voraussetzungen für die Aktivierung von Software 🔍📝
- Nachweispflicht ✅📋
- Bilanzierungs- und Abschreibungspolitik 📊💹
- Einfluss von auf Bilanz, Erfolgsrechnung und Cashflow 📈📊💰
- Fazit 🏁🤝
Indem sie sich den Wert selbst entwickelter Software zunutze machen, können innovative Unternehmen die Herausforderungen der Entwicklungsphase überwinden, gestärkt aus ihren anfänglichen Verlusten hervorgehen und die Weichen auch Bilanzmässig auf Wachstum stellen.
Und wenn du jetzt als Gründer:in denkst, das überlässt du alles dem Treuhänder: Falsch gedacht. Das Thema Bilanz-Management hat eine hohe strategische Bedeutung und du solltest es zumindest auf Augenhöhe mit dem Treuhänder diskutieren können.
Voraussetzungen für die Aktivierung von Software: das sagt das Gesetz ⚖️
Bei Software handelt es sich um sogenannte “Immaterielle Vermögenswerte”. Immateriell heisst, der Wert ist zwar da, aber im Gegensatz zu beispielsweise einer Maschine oder einem Haus eben nicht greifbar. Für die Bilanzierung ist dabei zunächst relevant, ob es sich um zugekaufte oder selbst hergestellte Software handelt.
Erworbene Software: keine Wahl
OR 959 schreibt vor, dass eine erworbene Software im Anlagevermögen zu bilanzieren ist, wenn die nachfolgenden Bedingungen kumulativ erfüllt sind:
- Es kann über sie verfügt werden,
- ein zukünftiger Mittelzufluss aus der Software ist wahrscheinlich,
- ihr Wert kann verlässlich geschätzt werden, und
- sie wird mit der Absicht einer langfristigen Nutzung (über 12 Monate, OR 960d) erworben.
Sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind, besteht nach OR 959 eine Bilanzierungspflicht.
Bei der Bewertung gilt das Vorsichtsprinzip, das bedeutet, die Software darf höchstens zu den Anschaffungskosten bewertet werden. Ausserdem muss sie innert nützlicher Frist abgeschrieben werden.
Im restlichen Artikel befassen wir uns mit selbst entwickelter Software, wie dies bei Startups sehr häufig der Fall ist.
Selbst erstellte Software: Die Aktivierung ist möglich, aber nicht zwingend
Sofern die oben aufgelisteten Kriterien nach OR 959 (Verfügungshoheit, zukünftiger Mittelzufluss, zuverlässige Wertschätzung, Absicht einer langfristigen Nutzung, dh kein Verkauf innerhalb der nächsten zwölf Monate zB an einen Kunden) hat das Unternehmen die Option, die selbst entwickelte Software zu aktivieren.
Auch hier gilt das Vorsichtsprinzip, und wir schauen uns die Überlegungen nun etwas näher an.
Welche Entwicklungskosten können bei selbst entwickelter Software aktiviert werden?
Bei der Aktivierung gilt es, zwischen Forschungskosten und Entwicklungskosten zu unterscheiden. Forschungskosten sind immer Aufwand und folglich nicht aktivierbar. Nicht aktivierbar sind namentlich Aufwendungen für die Definierung von Anforderungen, Grobentwürfe und Beschreibungen.
Aktivierbar sind nach Gesetz die effektiven Entwicklungskosten. Diese beinhalten:
- Entwurf, Codierung und Aufwendungen für das Testen von Prototpyen,
- Produktion (Coding) von Software, auch unter Verwendung anderer Softwarebausteine, und
- Aufwendungen fürs Testing von Software.
Aktiviert werden können insbesondere auch die Lohnkosten der Software-Entwickler.
⚠️ Nachweispflicht – ohne Beleg keine Buchung!
Im internationalen Vergleich ist die Rechnungslegung nach OR verhältnismässig flexibel. In der Schweiz entscheiden sich zudem viele Startups für das sogenannte “Opting Out”, sprich sie verzichten auf die ansonsten vorgeschriebene gesetzliche Revisionspflicht, solange sie nicht dazu gezwungen sind. Das bedeutet letztlich, dass in vielen Startups über Jahre hinweg niemand die Abschlüsse und damit auch die Aktivierung dieser immateriellen Aktiven genau anschaut – bei falscher Handhabung können sich über die Zeitspanne ganz schön viele Fehler akkumulieren.
Wichtig ist, gerade und insbesondere auch bei der Aktivierung selbst erstellter Software, den Buchhaltungs-Grundsatz “ohne Beleg keine Buchung” zu befolgen. Will heissen:
- Wurde die Software von ausgebildeten Fachleuten im Angestelltenverhältnis erstellt? Check, unbedingt die Lohnabrechnungen aufbewahren.
- Besteht ein Auftragsverhältnis mit Freelancern oder einer Agentur? Bingo. Auf saubere Abrechnungen achten, dann sind diese Beweis genug.
- Die Nutzung von Tools wie JIRA und Github vereinfachen den Dokumentationsprozess, sollte später einmal jemand fragen, was Developer X vor drei Jahren genau im Unternehmen gemacht hat.
- Viele Gründer entwickeln in der Anfangszeit selber über eine längere Zeit Software und zahlen sich währenddessen keinen Lohn aus. Für eine Aktivierung steht damit für die Buchung grundsätzlich mal kein Aufwandskonto gegenüber und es existieren auch keine Belege. Wir empfehlen in solchen Fällen, frühzeitig (heisst, noch vor Abschluss des Geschäftsjahres!) das Gespräch mit einem Treuhänder mit Erfahrung in der Betreuung von Startups zu suchen.
Bei einer eingeschränkten Revision werden die immateriellen Vermögenswerte in der Regel genauer geprüft, da diese oft einen erheblichen Teil der Aktiven ausmachen. Eine Revisionspflicht kann übrigens auch beim Opting Out “unerwartet” doch plötzlich bestehen, sei es bei einer Sacheinlage, Umwandlung von einer GmbH in eine AG, oder bei Auftreten einer Überschuldungssituation nach OR 725. Angeschaut und geprüft werden dabei die Belege, anhand derer die Entwicklungskosten belegt werden können, der zum Prüfungszeitpunkt mit der Software erzielte Umsatz, sowie eine Umsatzprojektion (Businessplan).
Achtung: Zu “grosszügige” Aktivierungen rächen sich spätestens bei einer solchen Prüfung, und unter Umständen können diese sogar dem Tatbestand der Konkursverschleppung unter OR 725 entsprechen, mit entsprechender Haftungsfolge für den Verwaltungsrat. Kein Spass. Mehr zu OR 725 gibts hier.
Wir empfehlen an dieser Stelle ausdrücklich, den Jahresabschluss durch einen erfahrenen Treuhänder oder einen ausgebildeten Buchhalter erstellen zu lassen und mit diesem auch die aktivierung der immateriellen Werte zu besprechen.
Bilanzierung 💼 von selbst entwickelter Software und Abschreibungspolitik 📉 – in der Schweiz eine strategische Entscheidung!
Wie wir bereits gesehen haben, hast du in der Schweiz als Unternehmer:in enorm viel Spielraum. Du entscheidest, ob überhaupt und wie viel du von selber entwickelter Software aktivieren willst und bestimmst über die Abschreibungspolitik dein zukünftiges Unternehmensvermögen wie auch die ausgewiesenen Gewinne der nächsten Jahre (und damit die Steuerlast!) massgeblich mit. Sowas gibt es fast nirgends auf der Welt, und du solltest dieses Optimierungspotenzial unbedingt bestmöglich nutzen! Das ist auch der Grund, warum ich am Anfang geschrieben habe, dass dieses Thema strategisch zu wichtig ist, um es blind an den Treuhänder bzw die Treuhänderin zu delegieren.
Bei der Aktivierung von Software als Aktivposition “immaterieller Vermögenswert” geht es darum, dass die Aufwendungen für die Entwicklung der Software nicht im Jahr 1 zu 100% als Aufwand anfallen und damit der Erfolgsrechnung dieses Jahres ein fettes Minus bescheren, sondern stattdessen in der Bilanz aktiviert und anschliessend über mehrere Jahre abgeschrieben werden. Damit transferiert man den Entwicklungsaufwand buchhalterisch von Jahr 1 auf mehrere Jahre.
Das Prinzip der Abschreibungen bewirkt, dass der Aufwand und der mit der Software erzielte Umsatz zeitlich zusammenfallen. (Das genau gleiche Prinzip würde übrigens angewendet, wenn du geschäftliche Immobilien kaufst – hier ist einfach die Nutzungsdauer viel länger und damit der jährliche Abschreiber prozentual viel tiefer).
Sind die Voraussetzungen für die Aktivierung der Software erfüllt, muss das Unternehmen festlegen, wie bilanziert und gebucht werden soll.
Wie bucht man die Aktivierung von selbst entwickelter Software?
Selbst entwickelte Software taucht in der Bilanz als langfristige Aktiv-Position “immaterielles Vermögen” auf.
Die Aktivierung kann direkt über das Aufwandkonto geschehen, in diesem Fall lautet der Buchungssatz wie folgt:
Immaterieller Wert / Lohnaufwand
Der ausgewiesene Lohnaufwand und damit der Jahresverlust wird entsprechend um den gebuchten Betrag vermindert. Diese direkte Buchung hat damit den Nachteil, dass die Aussagekraft der Erfolgsrechnung abnimmt, da für einen Aussenstehenden nicht mehr nachvollziehbar ist, wie viel Geld in einer bestimmten Periode effektiv in die Softwareentwicklung geflossen ist.
Eine elegante Lösung ist daher die Buchung über ein Aufwand-Minderungskonto:
Immaterieller Wert / Aufwand Informatik
Beim Konto Aufwand Informatik handelt es sich um ein Aufwand-Minderungs-Konto oder ausserordentlichen Ertrag; damit wird der Verlust in der Erfolgsrechnung analog zum ersten Beispiel reduziert, allerdings wird der Lohnaufwand dabei nicht künstlich geschmälert, sondern bleibt stehen. Unter dem Strich (wortwörtlich!) bleiben die Entwicklung der Bilanzposition wie auch der Aufwendungen damit für alle nachvollziehbar.
Welchen Betrag kann ich bei selbst entwickelter Software aktivieren?
Es wäre falsch, einfach 100% der IT-Löhne zu aktivieren. Was sich das Unternehmen überlegen muss: welcher Anteil des Entwicklungsaufwands ist effektiv in die Entwicklung neuer Features geflossen, und wie viel ins Bugfixing oder das Refactoring bestehenden Codes? Dieser verbleibende Wert darf, unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips, aktiviert werden.
Der bilanzierte Wert darf die effektiven Herstellungskosten zu keinem Zeitpunkt übersteigen – auch dann nicht, wenn der oder die Gründer:in überzeugt ist, eine unfassbar bahnbrechende und damit wertvolle Technologie erschaffen zu haben.
Über welchen Zeithorizont wird selbst entwickelte Software abgeschrieben?
Gemäss Merkblatt der Eidgenössischen Steuerverwaltung ESTV
wird Software über maximal fünf Jahre abgeschrieben (linear), oder degressiv mit jeweils 40% des Buchwertes des Vorjahres. Es gilt wie immer bei der Buchung nach OR das Vorsichtsprinzip, das heisst, das Unternehmen kann auch schneller als über 5 Jahre abschreiben. (Die zitierte Verordnung stammt übrigens aus dem Jahr, in dem Windows 3.11 von Windows 95 abgelöst wurde.)
Einmal festgelegt, sollte die Abschreibungsdauer beibehalten werden.
Falls ein Teil der aktivierten Software infolge Anpassung des Geschäftsmodells oder eines Refactorings obsolet wird, muss dieser Teil sofort auf Null abgeschrieben werden.
Wie behalte ich bei selbst entwickelter Software den Überblick 👀?
Wenn jedes Jahr neue Aktivierungen dazu kommen (was in den ersten Jahren bei allen Startups der Fall sein wird), gleichzeitig erste Teile obsolet und damit auf Null abgeschrieben werden und dazu noch jedes Jahr die Abschreibungen der Vorjahreswerte zu berücksichtigen sind, ist es ist tatsächlich nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten.
Abhilfe schafft hier eine Art Anlagebuchhaltung, respektive ein sogenannter Anlagespiegel: dabei werden die Entwicklungs-Anteile jedes Jahres separat aufgelistet und der jährliche Abschreibungsbetrag festgehalten. Noch eleganter wäre es, wenn einzelne Teile der Software verbucht werden können, so kann im Falle eines Refactorings wirklich korrekt auf Null abgeschrieben werden – das ist in der Praxis allerdings in der Regel nicht zu handhaben.
Ein solcher Anlagespiegel ist an sich keine grosse Sache und kann auf Excel erstellt werden. Accrio hat eine coole Erweiterung für Bexio entwickelt, Buchhaltungslösungen wie Abacus haben eigene Module dafür.
Wichtig ist, dass im Anhang zur Bilanz und Erfolgsrechnung auf die immateriellen Werte Bezug genommen wird und die Abschreibungspolitik erläutert wird.
Einfluss von der Aktivierung immaterieller Vermögenswerte aufs Jahresergebnis 📈📊💰
Die Aktivierung selbst entwickelter Software hat signifikante Auswirkungen auf Bilanz, Erfolgsrechnung und Cashflow eines Unternehmens. In der Bilanz erscheint die Software als langfristiger immaterieller Vermögenswert, der das Eigenkapital und die Gesamtaktiva erhöht.
Dadurch verbessert sich die finanzielle Gesundheit des Unternehmens und es wird attraktiver für Investoren und Kreditgeber. Gerade bei Jungunternehmen, die sich oft über Wandeldarlehen eine Zwischen-Finanzierung einholen, ist es entscheidend, frühzeitig ausreichend Vermögenswerte aufzubauen um einer etwaigen Überschuldungssituation nach OR 725 vorzubeugen.
In der Erfolgsrechnung führt die Aktivierung dazu, dass die Entwicklungskosten nicht mehr vollständig als Aufwand erfasst werden, sondern über mehrere Jahre abgeschrieben werden. Dadurch wird der Jahresverlust reduziert und das Unternehmen kann eine nachhaltigere und stabilere Gewinn- und Verlustrechnung präsentieren.
Cash Flow und Liquidität lassen sich von solcherlei buchhalterischer Kosmetik hingegen nicht beeinflussen – das Geld ist dann weg, wenn du es ausgibst, egal, wie viel anschliessend in der Bilanz realisiert wird. Sind erste Umsätze vorhanden kann es im Extremfall sogar sein, dass du in einem Jahr einen kleinen Gewinn schreibst, jedoch trotzdem kein Geld mehr auf dem Konto hast.
TRESIO hilft dir dabei, die Runrate stets im Blick zu haben und für alle Szenarien vorzusorgen – registrier dich noch heute für einen kostenlosen Testaccount!
Zusammenfassend ermöglicht die strategische Aktivierung von selber entwickelter Software es Unternehmen, ihre Finanzberichte zu optimieren, ihre Kapitalbasis zu stärken und langfristig nachhaltiges Wachstum zu fördern.
Fazit
In der dynamischen Startup-Welt sind SaaS-Unternehmen Vorreiter in Sachen Innovation. Allerdings stehen sie oft vor erheblichen anfänglichen Investitionen und generieren nur geringe Einnahmen. Um diese Herausforderungen zu meistern und die finanzielle Gesundheit zu stärken, ist es entscheidend, den Wert selbst entwickelter Software als zentrale Vermögensposition zu erkennen und auch entsprechend in der Bilanz auszuweisen. Durch strategische Aktivierung gemäss Schweizer Gesetzgebung können Startups gestärkt aus anfänglichen Verlusten hervorgehen und den Grundstein für nachhaltiges Wachstum legen.
Die Kenntnis der gesetzlichen Voraussetzungen für die Aktivierung von Software, die ordnungsgemässe Dokumentation und eine solide Buchhaltungs- und Abschreibungsstrategie sind dabei entscheidend. So können Startups ihre Bilanzen optimieren und ihre Finanzberichte langfristig ausrichten. Gründer:innen sollten aktiv am Buchhaltungsprozess teilnehmen und bei Bedarf professionellen Rat einholen, um das Potenzial der Aktivierung von selbst entwickelter Software optimal auszuschöpfen.