Crowdlending Schweiz 2020: Diese sechs Fragen sind aus KMU Sicht relevant

Jedes Jahr im Juni veröffentlich die Hochschule Luzern eine Marktstudie zum Thema Crowdfunding in der Schweiz. Der aktuelle Crowdfunding-Monitor 2020 kann hier kostenlos heruntergeladen werden.

Wir haben uns die Studie etwas genauer angeschaut und versuchen, den Schweizer Crowdlending-Markt aus KMU-Sicht etwas besser einzuordnen und zu verstehen. (Für Unternehmen, die sich mit dem Thema Kredit auseinandersetzen, sind vor allem die Kapitel 4 und 6 wichtig).

Eine umfassende Analyse des Crowdlending-Markts Schweiz aus Sicht eines Kredit-suchenden KMU, inklusive Auflistung sämtlicher Anbieter und deren Gebühren, kann hier heruntergeladen werden.

1. Der Crowdfunding-Markt wächst: doch wie ist dieses Wachstum einzuordnen?

Knapp 600 Millionen Franken wurden gesamthaft über Crowdfunding eingesammelt im Jahr 2019. Damit ist der Markt auch im vergangenen Jahr gewachsen (+ 15.6%), allerdings weniger schnell als in den Vorjahren (2018: +38%, 2017: + 192%).

HSLU: Crowdfunding Monitor 2020

Ordnet man dieses Wachstum im internationalen Kontext ein ist festzustellen, dass sich der Schweizer Crowdfunding Markt klar langsamer entwickelt als im Rest der Welt: global ex China ist der Markt 2018 um + 48% gewachsen, in Europa (ohne UK) gar um +103%:

University of Cambridge: Global Alternative Finance Market Benchmarking Report 2020

Hauptgrund, dass die Schweiz bis jetzt nicht als Crowdfunding-Land heraussticht, dürfe das hierzulande ausgezeichnet funktionierende Bankensystem sein.

2. Crowdlending: welche Bereiche trieben das Wachstum?

Schaut man sich an, wie sich das Wachstum hierzulande zusammensetzt, erkennt man rasch, dass dieses Wachstum ausschliesslich vom Crowdlending getrieben war. Dieser Bereich macht mittlerweile 70% des gesamten Crowdfunding-Marktes in der Schweiz aus und das Wachstum war mit + 60% klar überproportional stark. Andere Bereiche hingegen waren teilweise gar rückläufig.

Crowdlending ist seit 2017 der wachstumsstärkste Crowdfunding-Sektor. Schaut man sich die nachfolgende Grafik jedoch im Detail an, stechen zwei Dinge ins Auge:

HSLU: Crowdfunding Monitor 2020
  1. Das Wachstum kam vor allem aus dem Real Estate Bereich. Hier hat sich das Volumen von 70 auf 191 Millionen fast verdreifacht.
  2. Die Anzahl der Transaktionen. Diese ist, laut Studie, um 1/8 zurückgegangen. Dieser Rückgang ist jedoch hauptsächlich dem «Advanon-Effekt» zuzuschreiben: die Studie berücksichtigt Advanon ab 2019 nicht mehr, 2018 wurde diese noch berücksichtigt. In bereinigten Zahlen, Advanon hat letztes Jahr insgesamt 1’500 Kredite finanziert, ist die Anzahl Transaktionen von 3’290 auf rund 4’800 angestiegen – was einer effekiven Zunahme der Anzahl Transaktionen um knapp 45% entspricht.

Der hohe Lending Anteil liegt, wiederum im internationalen Vergleich, im Rahmen der Erwartungen.


Stark überproportional im internationalen Kontext ist hingegen der hohe Anteil der Immobilienfinanzierungen, die hierzulande fast 1/3 des Volumens ausmachen, wie die nachfolgende Grafik zeigt:

University of Cambridge: Global Alternative Finance Market Benchmarking Report 2020

3. Consumer Lending: Kann sich der Crowd-Kredit durchsetzen?

Gemäss ZEK wurden 2019 Konsumkredite in der Höhe von knapp 4.5 Milliarden Franken vergeben. Davon wurden 67 Millionen Franken oder 1.5% über Crowdlending-Plattformen finanziert, wie die nachfolgende Grafik zeig:

HSLU: Crowdfunding Monitor 2020

Damit konnten die Plattformen ihren Markanteil halten (respektive um 0.2% ausbauen), allerdings ist der Anteil mit 1.5% auch zwölf Jahre nach Eintritt der ersten Crowdlending Plattformen in diesen Markt verschwindend gering.

Grund dafür dürfte die starke Stellung der etablierten Privatkredit-Anbieter sein: was den Plattformen fehlt ist ein Vertriebsnetz, während bestehende Anbieter in der Regel eng mit Banken verbunden und mit direkter Präsenz am Point of Sale sehr nahe am Konsumenten sind (beispielsweise mit Kredit-Kauf von Elektronikartikeln oder Möbeln auf Ratenzahlung).

Es ist unserer Einschätzung nach fraglich, ob Crowdlending im Bereich Consumer Lending je einen nennenswerten Marktanteil erreichen wird.

Die bescheidenen Volumen im Privatkunden-Segment dürften denn auch mit ein Grund sein, weshalb sich die Plattformen vermehrt dem KMU-Geschäft zuwenden und hier das stärkere Wachstum verzeichnen.

4. KMU Lending: 12 Plattformen – doch wer vergibt die Kredite?

Das Gesamtvolumen aller KMU-Kredite, die über die Crowd finanziert wurden, lag 2019 bei CHF 190 Millionen.
(Die Studie der HSLU berücksichtigt die schätzungsweise rund 30 Millionen der über Advanon finanzierten Kredite nicht, wir der Vollständigkeit halber schon).

Laden Sie hier die von finwize publizierte komplette Übersicht aller Schweizer Crowdlending-Anbieter herunter, inklusive Gebührenmodell und Einschätzung.

Zwölf Plattformen mit insgesamt schätzungsweise 80 Vollzeit-Mitarbeitenden ist für 190 Millionen Kreditvolumen unserem Erachten nach enorm – wir gehen daher davon aus, dass wir mit dem kürzlichen Zusammengehen von Creditgate24 und Advanon nicht das letzte Anzeichen einer Konsolidierung sahen.

Spannend ist aus KMU-Sicht demnach die Frage, wer von den 12 Plattformen effektiv wie viel Marktanteil hat. Die meisten Plattformen halten sich bezüglich finanziertem Kreditvolumen bedeckt. Einige Zahlen dringen dennoch ab und an nach draussen und wir wagen jetzt einfach einmal eine Annäherung, ohne Anspruch, dass diese vollständig und richtig sei:

  • Creditgate24 kommt, laut Eigenaussage, auf einen Marktanteil von rund 45%. Wir runden diese nicht näher belegte Selbstdeklaration ab auf 75 Millionen Franken ab.
  • Advanon schätzen wir für 2019 auf rund 30 Millionen Franken.
  • Der Marktanteil der fusionierten CreditGate24-Advanon dürfte somit bei >50% oder knapp 105 Millionen liegen – damit entsteht eine starke Marktmacht.
  • Lend: 20 Millionen Franken
  • Swisspeers: 16 Millionen Franken
  • Das heisst, für die übrigen 8 Plattformen bliebe ein Volumen von rund CHF 49 Millionen: Neocredit ist erst im vierten Quartal 2019 gestartet und hat in dieser Zeit ein paar 100’000 finanziert, Funders hat, soweit uns bekannt ist, nahe Null finanziert, und 3 Circle Funding knapp 1 Million im 2019.
  • Die übrigen Plattformen kämen demnach auf durchschnittlich rund 10 Millionen Franken finanziertes Volumen im Business-Bereich.
TRESIO: eigene Darstellung

Für Kreditsuchende KMU bieten Crowdlending-Plattformen drei wesentliche Vorteile gegenüber einer Bankfinanzierung:

  1. Dank der Finanzierung über die Crowd besteht Zugang zu Investoren mit unterschiedlichem Risikoappetit. Das bedeutet, unter Umständen ist auch dann noch ein Kredit möglich, wenn eine Bankfinanzierung nach herkömmlichen Kriterien nicht mehr möglich ist.
  2. Deutlich schnellere Kreditentscheide dank hohem Digitalisierungsgrad und kurzen Entscheidungswegen.
  3. Dank hochgradig automatisierten Prozessen können auch Kleinkunden bedient werden. Damit haben Crowdlending-Plattformen insbesondere im Segment der rund 27% aller KMU mit Finanzierungsbedarf, die sich von traditionellen Banken nicht ausreichend versorgt fühlen , eine hohe Relevanz.

Spannend ist in Zusammenhang mit Punkt 3) ein Blick nach Grossbritannien: dort hat sich der Marktanteil von Crowdlending-Plattformen bei Kleinunternehmen < 2 Millionen GBP Jahresumsatz innert kürzester Zeit von 0 auf knapp 1/3 des Gesamtmarkts entwickelt:

University of Cambridge: Global Alternative Finance Market Benchmarking Report 2020

Allerdings geraten die Schweizer Plattformen gerade in diesem auch für Schweizer Crowdlending-Anbieter wichtigen Segment der Kleinst-KMU nun von traditioneller Seite unter Druck: so hat Cembra Business vor wenigen Monaten einen komplett automatisierten Unternehmenskredit lanciert. Der Kreditentscheid wird innerhalb von 24 Stunden gefällt, weitere 24 Stunden später soll das Geld auf dem Konto sein.

Dieses Produkt zieht voll auf das von den Crowdlending-Plattformen betreute Kundensegment ab. Diese Entwicklung zeigt: auch die traditionellen Banken schlafen nicht und lancieren zunehmends eigene digitale Produkte, auch im KMU Bereich.

Es bleibt abzuwarten, wie die neuen digitalen Angebote der traditionellen Kredianbieter bei den KMU ankommen und wie sich demgegenüber die Relevanz von Crowdlending im KMU-Markt in Zukunft entwickelt.

5. Welche Bedeutung hat die «Crowd» überhaupt noch im Crowd-Lending?

Eine zusehends grössere Anzahl der über Crowdlending-Plattformen abgewickelte Kredite wird heute von institutionellen Anlegern, also Funds und Family Offices, finanziert, und nicht mehr von Einzelpersonen. Bei steigenden Volumen ist das irgendwann auch gar nicht mehr anders möglich.

Der Anteil institutioneller Anleger wird in der Schweiz nicht separat ausgewiesen. Allerdings geben im diesjährigen Crowdfunding-Monitor der Hochchule Luzern 4 der 12 befragten Plattformen an, dass der Anteil von mit institutionellen Anlegern finanzierten Krediten 60-100% ausmacht. Wie wir in Kapitel 5 gesehen haben, beherrschen die 4 grössten Plattformen rund ¾ des Marktes – die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich tendenziell auch die institutionellen Anleger eher mit den Marktführern zusammenarbeiten.

Das würde bedeuten, dass schätzungsweise rund 50-60% des Schweizer Crowdlending-Volumens effektiv von ein paar wenigen, institutionellen Anlegern stammt. Im internationalen Kontext betrachtet, wäre dieser Wert plausibel und entspricht dem weltweiten Durchschnitt:

University of Cambridge: Global Alternative Finance Market Benchmarking Report 2020

Für kreditsuchende KMU hat die Verlagerung zu institutionellen Anlegern einerseits Vorteile: so steht das Geld in der Regel deutlich schneller zur Verfügung, wenn es von einem grossen Investor direkt kommt, als wenn es zuerst über die Crowd eingesammelt wird. Andererseits kann ein Shift zu institutionellen Anbietern mittelfristig auch bedeuten, dass gerade die in Kapitel 4 erwähnte erhöhte Flexibilität bei der Kreditvergabe vermindert werden könnte.

6. Wir wagen drei Prognosen: wohin wird die Reise gehen?

  1. Die Marktkonsolidierung wird sich beschleunigen, und zwar aus drei Gründen:
    A) vermochte das Volumen-Wachstum im Crowdlending bis anhin die Erwartungen nicht zu erfüllen, die 190 Millionen pro Jahr reichen langfristig nicht aus, um die Kosten von 12 Plattformen mit 80 Vollzeit-Mitarbeitenden zu finanzieren.
    B) entstand durch das Zusammengehen von Advanon und Creditgate24 ein schlagkräftiger Anbieter mit grosser Marktmacht – das Konstrukt dürfte schätzungsweise > 50% des (Business) Crowdlending-Marktes in der Schweiz beherrschen und diesen Anteil weiter ausbauen, was die kleineren Plattformen zusätzlich unter Druck bringt.
    C) Sind die Null-Prozent-Zins Corona-Kredite des Bundes eine extrem starke Konkurrenz und viele Plattformen berichten davon, dass ihr Volumen davon stark betroffen war.
    Diese drei Faktoren in Kombination dürften unserer Ansicht nach die Konsolidierung des Sektors beschleunigen.
  2. Der Anteil von durch institutionelle Anleger finanzierten Krediten wird weiterhin zunehmen.
    Dieser Trend ist weltweit feststellbar. In weiter entwickelten Crowdfunding-Märkten wie China, USA und UK macht der Anteil an institutionellen Anlegern mittlerweile 80-85% aus, in der Schweiz schätzungsweise 50-60% wie unter Punkt 5 dargelegt.
  3. Die Crowdlending-Plattformen entwickeln sich vermehrt in eine Rolle eines «Arrangers».
    Eines der Haupt-Argumente aus KMU-Sicht, überhaupt eine Crowdlending-Plattform zu nutzen, ist der einfache, digitale Zugang zu Kapital und die rasche, vollautomatisierte Abwicklung.
    Damit heben sich die Plattformen von traditionellen Geldgebern klar ab.
    Mit der Crowd haben diese Vorteile auf den ersten Blick allerdings wenig zu tun.
    Bei den auf dem Markt verbleibenden Plattformen erwarten wir daher eine Verschiebung der Geschäftstätigkeit: wir gehen davon aus, dass sich viele Plattformen in Zukunft vermehrt in Richtung eines sogenanten «Kredit-Arrangers» bewegen werden – sprich, nebst den eigenen Crowd-Krediten wird dem Kunden eine Vielzahl von Produkten von Drittanbietern angeboten. Creditworld ist bereits voll auf dieses Geschäftsmodell ausgerichtet: die eigenen Crowd- und Fund-Gefässe finanzieren nur einen kleinen Teil der angefragten Firmenkredie, für den Rest wird auf eine Vielzahl von Finanzierungs-Partnern zusammengearbeitet. Einen Schritt in diese Richtung hat Anfangs dieses Jahres auch Swisspeers gemacht, neu werden, zusammen mit einem Partner, auch Leasing-Produkte angeboten.

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